Augen, Farbe und Konstruktivismus

Augen, Farbe und Konstruktivismus

Eye World2Augen, Farbe und Konstruktivismus

Wahrnehmung ist ein Konstrukt. Ihr Gehirn spiegelt keine objektive Realität wider. Das, was Sie als „Wirklichkeit“ empfinden, gibt es nur in Ihrem Gehirn. „Realität“ wird von jedem Gehirn einzeln konstruiert.

Nehmen wir mal Ihre Augen als Beispiel, mit ihren Millionen Photorezeptoren. Ein Typ Rezeptor ist zuständig für Sicht bei wenig Licht – dieser Rezeptor-Typ leistet allerdings keine farbliche Differenzierung. Drei weitere Typen von Rezeptoren sprechen auf verschiedene Farbfrequenzen an, damit Sie z.B. diesen Monitor nicht nur in Schwarz-Weiß sehen.

Retina mildSo weit, so gut. Nur, dass Sie mit diesen 3 Farbfrequenz-sensiblen Rezeptortypen noch längst keine Farbe sehen. Das volle Farbspektrum entsteht erst im Sehnerv, der im „Opponent Process“ die verschiedenen Reize miteinander kombiniert (und teilweise voneinander subtrahiert), um diesen Monitor bunt zu machen. D.h. schon bevor die Daten aus Ihren Augen überhaupt Ihren visuellen Kortex erreichen, sind sie schon nicht mehr eine Widerspiegelung einer existierenden, objektiven Realität. Denn schon jetzt sind diese Daten eine Interpretation, ein KONSTRUKT.

Dieses Konstrukt „Farbe“ ist für jeden von uns etwas anders. Warum? 

Die Natur hat es zwar geschafft, unsere Farbrezeptoren alle ähnlich zu gestalten, und doch nicht ganz gleich. Jeder Typ Farbrezeptor hat eine maximale Anschlagsfrequenz – die spezifische Lichtfrequenz, auf die die Rezeptoren am stärksten reagieren. Doch die sind nicht für alle Menschen gleich. Ihre Augen reagieren auf andere maximale Anschlagsfrequenzen als die Augen Ihrer Freunde, oder als meine Augen.

Die Kombination dieser 3 Verschiebungen wirkt wie ein Fahrradschloss – es gibt Millionen verschiedener Möglichkeiten, durch die ich detaillierte Farbtöne ein wenig anders wahrnehme als Sie.

Daher der berühmte Streit um das Kleid in diesem Foto, über das Spiegel Online schreibt: Weltweit streiten Menschen darüber, ob ein Kleid blau-schwarz oder weiß-goldfarben ist. (LINK) Wie sehen Sie es?

Kleid blau oder weissUnd was für’s Sehen gilt, gilt für alle Sinne: Beim Hören, beim Schmecken, usw. generiert jedes Gehirn leicht verschiedene Wirklichkeits-Konstrukte.

Und im Gegensatz zu Fahhradschlössern sind die Wirklichkeits-Konstrukte anderer sehr schwer zu knacken bzw. eins zu eins nachzuvollziehen.

Ungewöhnliche Fähigkeiten:

Es gibt viele Menschen, die komplett anders sehen als die Mehrheit. Farbenblindheit wird als Krankheit diagnostiziert, doch es gibt auch tetrachromatische Sicht (mit vier anstelle von drei Arten von Farbrezeptoren) und Menschen, die unter bestimmten Bedingungen UV-Licht wahrnehmen können.

Es spricht theoretisch auch nichts dagegen, Infrarot-Rezeptoren in Augen zu integrieren. Das ist vielleicht noch etwas in die Zukunft gedacht, aber eins ist klar: das menschliche Gehirn würde mitspielen.

Wie definieren wir dann “sichtbare Frequenzen“? Sichtbar für wen?

Auch ohne zu weit in die Zukunft zu schauen steht fest: Die Neurobiologie, also die harten Fakten der Naturwissenschaften, unterstützen geisteswissenschaftliche Konzepte von vor knapp 100 Jahren – konstruktivistische Wahrnehmungstheorien sind naturwissenschaftlich belegt.

Wer wissen will, was das alles mit Kommunikation zu tun hat, findet hier weitere Infos. Hören ist ja auch ein Wahrnehmungssinn.