Der Dienstag-Dialog: Was unterscheidet Coaching von Therapie?

Der Dienstag-Dialog: Was unterscheidet Coaching von Therapie?

000 carl & corneliaDer Dienstag-Dialog:  Was unterscheidet Coaching von Therapie?

Gespräch mit systemischer Therapeutin Cornelia Wolter & Diplom-Psychologe Carl Gross.

Was ist der Unterschied zwischen Coaching und Therapie?

Cornelia Wolter: Therapie zielt auf umfangreichere Erkenntnisse – eine Art Gesamtbild des Patienten. Dazu sind in der Haltung des Therapeuten Neutralität und professionelle Distanz grundsätzlich wichtig. Das ist beim Coaching von Fall zu Fall Einschätzungssache, also flexibler. Es ist also auch eine Art professionelle Nähe möglich.

Carl Gross: Ich coache einen Arzt. Er verändert gerade viel in seinem Leben, mit Erfolg. Letztens erhielt ich beim Abschied ein ungewöhnliches Kompliment: „Ihre Art zu coachen, da sträuben sich jedem Therapeuten die Haare.“

Cornelia Wolter: Dabei warst Du in über 40 Jahren Berufsleben länger Therapeut als Coach.

Carl Gross: Ja. Und dann hat’s mir die Neurobiologie angetan. Und Grawe und Co. [Anmerkung: siehe Klaus Grawe und das Werk Neuropsychoterapie]

Nähe vs Distanz

CW: Neurobiologisch gesehen macht es in manchen Situationen Sinn, emotionale Bindung zu schaffen. Das schafft Vertrauen und bringt Ruhe und Hoffnung ins Gespräch.

CG: Genau, daher ist unser neuro-systemischer Coaching-Stil oft sehr nah am Patienten, angemessen humorvoll und persönlich. Es ist natürlich immer ein professionelles Abwägen.

Zielstellungen

CG: Ausserdem sind die Zielstellungen von Coaching und Therapie verschieden. Psychotherapie will in der Regel den Menschen “Breitband“-verändern. Coaching nur spezifische Anteile. Das ist auch ein Grund für die verschiedenen Erwartungen an die Haltung eines Coaches (LINK) und an die eines Therapeuten.

CW: Du nennst es “Breitband“-Veränderung. Ich glaube es geht dabei auch um den Erkenntnisprozess, der Veränderungen vorgeschaltet ist. Viele Therapieformen setzen einen umfangreichen Erkenntnisprozess voraus, bevor ein Patient sich dann grundlegend verändern kann.

Neuro-systemisches Coaching

CW: Du bist seit 40 Jahren Heilpraktiker und Psychotherapeut. Ich frage mal für alle Leser: Was hat dich dazu bewegt, einen neuen Coaching-Stil zu entwickeln? Oder überhaupt, als Coach anstelle als Therapeut zu arbeiten?

CG: Der Versuch, sich selbst zu verstehen, macht in Therapie oft einen großen Anteil der Behandlung aus. In manchen Schulen den größten Anteil, da sie davon ausgehen, dass man sich, wenn man sich versteht, auch ändern kann. Neurobiologische Erkenntnisse widersprechen dieser Annahme. Im neuro-systemischen Coaching geht es zu 90% um die aktive Umsetzung der gewünschten Veränderung. Dabei ist das Gehirn nicht rückwärts gewandt, sondern agiert auf eine Art und Weise, die zu seiner strukturell und entwicklungsbedingten Funktionalität passt: Aufgaben und Herausforderungen erahnen und so schnell wie zulässig vorwärtsgerichtet angehen.

CW: Das hört sich sehr kritisch an.

CG: Es ist einfach eine andere Zielstellung. Das Ziel von Coaching ist immer, Überforderungen möglichst schleunig in Herausforderungen zu überführen.

CW: Will eine Therapie das nicht?

CG: Sagen wir einfach: eine Therapie ist umfangreicher und langfristiger angelegt.

CW (lacht): Und ich wundere mich immer wieder, dass meine Kunden nach 5 Terminen Ihre Ziele erreicht haben. Ich kenne eine Beraterin, die sagt, das ist für Stammkundengeschäft konterproduktiv.

CG: Wir sollten TURBO2™ einstampfen und ein „SLOW Coaching“ entwickeln.

CW: Slow Food gibt’s ja schon.